Wie kommt der Geist in die Kunst?

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Ein Werk der bildenden Kunst ist ein Gegenstand oder (etwas umfassender betrachtet) ein Objekt, auch wenn in multimedialen Zeiten der Eindruck entstehen könnte, es handele sich um eine Inszenierung. Da Kunst, egal in welcher Form, sich zuweilen dem Vorwurf ausgesetzt sieht, geistlos zu sein, stellt sich die Frage: Wie kommt der Geist in die Kunst, ist er schon da oder muss er hineininterpretiert werden?

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der Philosoph der Romantik und des deutschen Idealismus, sieht die Darstellung des Schönen (für ihn identisch mit dem Wahren) als Aufgabe der Kunst an. Schönheit ist für ihn die Indifferenz von Freiheit und Notwendigkeit, von Bewusstlosem und Bewusstem – in einem Realen angeschaut. Die Durchdringung (nach Schelling: Ineinswerdung) von Realem und Idealem, Subjektivem und Objektivem, Besonderem und Allgemeinem hat vermutlich bei der Wahrnehmung von Kunstwerken grundsätzlich Gültigkeit. Würde nämlich das Subjekt Kunst-Produzent in einem Werk nicht objektivieren, hätte das Subjekt Kunst-Betrachter als Rezipient gar keinen Zugang. Verständigen können sich beide nur über ein Allgemeines in einem Besonderen (das Werk). Das Sinnliche ist nun einmal an ein Subjekt gebunden, welches mit einem anderen Subjekt nur über ein objektiviertes Begriffliches kommunizieren kann.

Mit dem Begrifflichen sind wir beim Denken – beim Geist, dem Gegenpart der Materie bzw. der Natur – angelangt. Nach Schelling kann man folgenden Schluss ziehen: Geist befindet sich bereits im Kunstwerk, und zwar in dem Maße, wie es gelingt, neben dem Besonderen ein Allgemeines als Urbild zum Ausdruck zu bringen. Demnach bestünde die Aufgabe des Künstlers darin, sein subjektiv entworfenes Werk gleichzeitig in einer Objektivierung erscheinen zu lassen. Gelingt dies nicht, so Schelling, entsteht das Verkehrte und Falsche, das Hässliche und der Irrtum – weil es dann bei einer im Zeitlichen verharrenden Privation bleibt. In diesem Falle entsteht Künstlichkeit.

  Wenn dem so ist, dass in einem künstlerischen Werk das vermittelnde Objektive – und damit der Geist – angelegt ist, dann ergibt sich für den Kunst-Erklärer folgende Aufgabe: Er muss dem (vor allem seit der Moderne) oft ratlosen Rezipienten eine begriffliche Brücke bauen, was mithilfe der Sprache geschieht. Daraus ergeben sich für den Erklärer regelrechte Spielwiesen der Interpretation, allerdings mit der ständigen Gefahr, metaphysische Blüten hervorzubringen; dumme Kunst, falls es das überhaupt gibt, wird klug erklärt. Findet der Kunst-Erklärer bei einem Werk wenig oder gar keinen Geist vor (wobei offenbleibt, ob es an ihm oder am Werk liegt), dann benutzt er als Einstieg für ein Interpretationsmuster in der Regel einen anekdotischen, zumeist biografischen Verweis. Gelingt auch dies nicht, kommt es zum Interpretations-GAU, dann geht es nicht mehr um das Werk, sondern nun ist von einem der wichtigsten Künstler – dem renommierten Kunsthaus – dem anerkannten Kurator – dem bedeutenden Sammler – der fantastischen Ausstellung die Rede. An die Stelle von Kritik tritt eine blendende (geblendete) kulturell-soziologische Einordnung.

Und noch einmal Schelling. Er meinte, Kunst könne man nicht lehren, was den Schluss nahe legt, dass man sie auch nicht lernen kann. Für die Künstler ist das beruhigend, müssen sie sich selbst nicht die Frage stellen, ob sie und ihre Werke Geist haben oder nicht, das ist all den anderen an Kunst Interessierten überlassen. Stellten sich die Künstler aber doch diese Frage, dann würde sich das Heer von Kunstschaffenden auf ein Minimum reduzieren, denn wer springt schon gerne ins Wasser, wenn er nicht schwimmen kann – sollte man meinen. Doch dem ist nicht so, Kunst kann offensichtlich jeder – und sie interpretieren auch.

Vielleicht haben Kunstwerke gar keinen Geist und nur wir haben ihn, tragen ihn mit uns herum, wenden ihn an, wenn es an-gebracht erscheint.