Wie kommt der Geist in die Kunst?

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Der Mythos der Moderne – das verkannte Kunstwerk – bezieht sich auf Künstler des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Erstaunlicherweise wird dieser Mythos auch in einer liberalen, wettbewerbsorientierten Zeit wie der heutigen aufrechterhalten, sodass man fragen muss: Warum wissen wir eigentlich trotz der Fülle an Informationen nicht, was ein aktuelles (sozusagen un-besprochenes) Kunstwerk wert ist? Die Antwort ist einfach: Wir kennen den Wert eines aktuellen Kunstwerkes nicht, weil es (von sich aus und über den Eigenbedarf hinaus) keine Funktion hat, es ist ein unnützer Gegenstand – zuerst einmal. Erst wenn ein Werk zusätzlich zu seinem Materialwert einen ideellen (geistigen) Aussagewert erhält, kann es den Sprung in die Kultur schaffen und einen sozialen Wert erlangen.

Der Reiz des Kunstwerks - und vermutlich auch sein Sinn - liegt also weniger darin, was es für sich (und an sich) sein kann, sondern vielmehr darin, was man über es denken, bzw. sagen kann. Nun ist aber nicht alles, was man über ein Kunstwerk äußern kann, sogleich Geist und damit ideell, sondern Vieles begnügt sich mit einer Erzählung, einer Geschichte, einer Anekdote, in der sich das Ideelle als geistiger Gegenpart zum Materiellen schwerlich finden lässt. Bis also aus Kunst Kultur wird, muss die Kunst fachspezifische Aufmerksamkeit erhalten, was durch objektbezogene (und damit objektivierende), hierarchisch strukturierte Aussagen über die Werke geschieht. (Vor allem kommt es darauf an, wer etwas sagt, zeigt, kauft, ehrt usw.). In der Koordinierung der Syneffekte von Aussagen über Kunst (auch eine Ausstellung ist eine Aussage) liegen nicht nur die Anerkennungs-, sondern auch die Gewinnspannen, die sich mit aktueller Kunst auf einem spekulativen Markt erzielen lassen – auch wenn es (oder gerade weil es) Zeit braucht.

Der kulturelle Sprung ist ohne die Anhäufung von Aufmerksamkeit und das Bündeln von Interessen nicht möglich. Da stellt sich die Frage nach den Motiven derjenigen, die durch ihre Aussagen Einfluss auf die Einschätzung und damit den Wert von Kunstwerken nehmen. Zwei Motive lassen sich erkennen: einmal der redliche Hinweis auf eine Innovation innerhalb der Kunst, ein andermal der nicht unredliche Versuch, durch Zunahme von Aufmerksamkeit für die Kunst selbst Teil einer vermehrten Aufmerksamkeit (und damit Aufwertung) zu sein.

  Andy Warhols Idee vom Museum als Kaufhaus wäre eine Möglichkeit, die Vormundschaft einer staatlich geförderten und damit repräsentativen Kultur zwar nicht zu beenden, aber doch zu ergänzen. Die Fremdfinanzierung von Kunst könnte zurückgehen, wenn es gleichzeitig einen unmittelbaren (und damit notwendigen) Markt von Angebot und Nachfrage gäbe. Viele kreativen Ressourcen müssten nicht länger verschwendet bzw. verschwiegen werden. Die Angebote von Kunst würden (vor allem durch Regionalisierung) zunehmen. Jeder hätte etwas davon, der Künstler, der Experte, vor allem aber der Interessierte, der nicht länger nur Publikum, sondern auch Kunde wäre. Ausstellungshäuser, die ihre Ware (denn nichts anderes ist ein Kunstwerk) nicht veräußern, müssten sich neue Strategien überlegen.

Bringt man Andy Warhols Gedanken zu Ende, könnte die Einstellung zur Kunst vergleichbar sein mit der Einstellung zum (nicht immer geliebten) Auto. So gut wie jeder hat eins und benutzt es nach seinen Möglichkeiten und Bedürfnissen. Dies schließt nicht aus, dass es nach wie vor Interesse - an Rennen auf abgesteckten Strecken mit ausgewählten Fahrern in hochgezüchteten Autos und zahlenden Zuschauern hinter den Absperrungen - geben wird.

Mein Ideal war schon immer der kleine Laden mit Backstube, d. h. hinten (zum Hof hin) produzieren und vorne (an der Straße) verkaufen; und in der nächsten Straße gäbe es den nächsten Laden. Das aber würde noch einmal eine kulturelle kopernikanische Wende voraussetzen: Der Geist als Möglichkeit von Freiheit müsste sich umkehren in Notwendigkeit, so wie das Frühstücksbrötchen eine Notwendigkeit sein kann und trotzdem nach wie vor dem Reich der Freiheit (und damit dem Geist) angehört – indem man aufs frische Brötchen verzichtet und anderes zum Frühstück nimmt. Man hätte die Wahl. Bei einer repräsentativen Bäckerei mit ausgestellter Ware, in die man nicht handelnd/kaufend eingreifen kann, bleibt nur der Blick durchs Fenster.